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Mögliche Verfassungswidrigkeit führt nicht zur Aussetzung der Vollziehung von Gewerbesteuermessbescheiden

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Zur Zeit ist beim Bundesverfassungsgericht ein Verfahren zur verfassungsrechtlichen Überprüfung der ab dem Jahr 2008 teilweise erheblich geänderten gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Zinsen und Mieten anhängig.

Unter Berufung auf eben jenes Verfahren beantragten zwei Antragstellerinnen vor dem Finanzgericht Köln die Aussetzung der Vollziehung von Gewerbesteuermessbescheiden für die Jahre 2009 bzw. 2010. Sie machten geltend, dass die Neuregelung der Hinzurechnungsvorschriften durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 in § 8 Nr. 1 GewStG das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verletze. Das gelte insbesondere bei den von ihnen betriebenen Unternehmensmodellen, wonach die benötigten Wirtschaftsgüter und Immobilien zum Betrieb von Hotels bzw. Altenheimen ausschließlich von Dritten angepachtet würden. Trotz tatsächlich erzielter Verluste habe die gewerbesteuerliche Hinzurechnung eine erhebliche Steuerbelastung zur Folge und gefährde damit ihre wirtschaftliche Existenz.

Dem folgte das Finanzgericht Köln in beiden von ihm jetzt entschiedenen Verfahren nicht.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).

Das Finanzgericht Köln äußerte zwar die Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich rechtfertigende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gewerbesteuermessbescheids 2009 (unten 1.). Die Vollziehung dieses Bescheids sei dennoch nicht auszusetzen, da die Antragstellerin das hierfür erforderliche besondere Aussetzungsinteresse nicht dargelegt hat und aus diesem Grund das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angefochtenen Bescheids überwiege (unten 2.).

1. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken. Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen.

Dies gilt auch dann, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine dem Bescheid zugrunde liegende Norm begründet werden. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Fall der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung. Es genügen auch in diesem Fall gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechende Gründe; die Beurteilung des Aussetzungsantrags erfolgt nicht anhand der – strengeren – Maßstäbe, wie sie das Bundesverfassungsgericht für die einstweilige Anordnung gemäß § 32 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) entwickelt hat.

Nach diesen Maßstäben hatte das Finanzgericht Köln hinreichend ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelungen der Hinzurechnungs­vorschriften in § 8 Nr. 1 Buchst. a), d) und e) GewStG durch das Unternehmen­steuerreformgesetz 2008.

Diese Zweifel haben ihren Grund in dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Hamburg, mit welchem das Finanzgericht Hamburg die Neuregelungen des § 8 Nr. 1 Buchst. a), d) und e) GewStG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG zur verfassungsrechtlichen Prüfung vorgelegt hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sind ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm bereits aus dem Grund zu bejahen, dass der Bundesfinanzhof die Rechtsnorm im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens dem BVerfG vorgelegt hat. Dies gilt nach Auffassung des Finanzgerichts Köln im Regelfall auch dann, wenn der Vorlagebeschluss nicht durch den Bundesfinanzhof, sondern durch ein Finanzgericht erfolgt. Sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Vorlagebeschluss durch den Senat eines Finanzgerichts unzulässig oder offenkundig unbegründet ist, führt dieser zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, der auf den betreffenden Rechtsnormen beruht. Ausweislich des o.g. Vorlagebeschlusses hat der 1. Senat des Finanzgerichts Hamburg die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der betreffenden gewerbesteuerrechtlichen Neuregelungen gewonnen und seine dahingehende Rechtsauffassung ausführlich begründet.

Das Finanzgericht Köln konnte und mußte nun nicht entscheiden, ob er die verfassungsrechtlichen Bedenken des Finanzgerichts Hamburg in vollem Umfang teilt; insbesondere vor dem Hintergrund, dass die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungsvorschriften zumindest teilweise bereits Gegenstand verfassungs­rechtlicher Verfahren gewesen und vom BVerfG als verfassungsgemäß angesehen worden sind und das BVerfG Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gewerbesteuerrechtlicher Vorschriften gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip als unzulässig verworfen hat, lässt das Finanzgericht Köln vielmehr ausdrücklich offen, ob auch aus seiner Sicht derzeit die Voraussetzungen für eine konkrete Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG im Klageverfahren vorliegen. Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung des § 8 Nr. 1 Buchst. a), d) und e) GewStG, welche die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gewerbesteuermessbescheids 2009 als ernstlich zweifelhaft erscheinen lassen und eine Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich rechtfertigen können, sind zur Überzeugung des Finanzgerichts Köln aber allein bereits aufgrund des o.g. Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Hamburg zu bejahen.

Dies entspricht im Ergebnis auch der Sichtweise des Antragsgegners. Auch dieser ist bei seiner ablehnenden Entscheidung von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Gewerbesteuermessbescheids 2009 ausgegangen und hat den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lediglich im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der geordneten Haushaltsführung abgelehnt.

Die Finanzverwaltung weist im Übrigen hinsichtlich der hier streitbefangenen Problematik selbst auf das gesetzliche Ruhen gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO oder die Möglichkeiten des einvernehmlichen Ruhens wegen eines wichtigen Grundes hin.

Ob auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Regelung über die Hinzurechnung von 1/16 der Entgelte für die zeitlich befristete Überlassung von Rechten gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. f) GewStG bestehen, die nicht Gegenstand des o.g. Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Hamburgs ist, hat das Finanzgericht Köln offengelassen. Zum einen hat die Antragstellerin gegen diese konkrete Hinzurechnungsvorschrift keine substantiierten verfassungsrechtlichen Einwendungen erhoben. Zum anderen ist hinsichtlich dieser Hinzurechnungen bereits aufgrund ihrer betragsmäßigen Höhe das erforderliche besondere berechtigte Interesse an der Aussetzung (hierzu im Einzelnen sogleich unter 2.) nicht erkennbar.

2. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, dann ist der Verwaltungsakt, von Ausnahmen in Sonderfällen abgesehen, trotz der gesetzlichen Formulierungen „kann … aussetzen“ in § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO und „soll die Aussetzung erfolgen“ in § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO von der Vollziehung auszusetzen. Das in § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO angelegte Ermessen des Finanzgerichts bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung ist dem Sinne vorgeprägt bzw. gebunden, dass das Gericht bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen im Regelfall zur Aussetzung verpflichtet und nur ausnahmsweise ein Abweichen von dieser Regel zugelassen ist.

Ein solcher Ausnahmefall wird von der Rechtsprechung seit jeher insbesondere in den Fällen angenommen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakt auf ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der angewandten Rechtsnormen beruhen. Ist dies der Fall, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus.

Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an. Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist dann der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat.

Der Bundesfinanzhof hat in Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen, in verschiedenen Fallgruppen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt, und zwar wenn dem Steuerpflichtigen durch den sofortigen Vollzug irreparable Nachteile entstehen, wenn das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum liegt, wenn das Bundesverfassungsgericht eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt hatte, wenn der Bundesfinanzhof die vom Kläger als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hatte, wenn ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des bisher zulässigen Abzugs von laufenden erwerbsbedingten Aufwendungen als Werbungskosten bestehen oder wenn es um das aus verfassungsrechtlichen Gründen schutzwürdige Vertrauen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage oder um ausgelaufenes Recht geht.

Diese einschränkende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes hat das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz gebilligt. Das Erfordernis eines besonderen Aussetzungsinteresses, welches gegen das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts abzuwägen ist, ist kein zusätzliches, unbestimmtes Tatbestandsmerkmal, sondern eine zulässige Interpretation des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO als Soll-Vorschrift und verstößt nicht grundsätzlich gegen den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest solange der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibt; in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen.

An der einschränkenden Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO, einen Verwaltungsakt wegen ernstlicher Zweifel an der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Rechtsnormen nur nach Abwägung des individuellen Aussetzungsinteresses gegen das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes von der Vollziehung auszusetzen, ist nach Auffassung des Finanzgerichts Köln trotz der Einwendungen der Antragstellerin und der in der Literatur geäußerten Kritik festzuhalten. Die Aussetzung der Vollziehung kann aus Gründen überwiegender öffentlichen Interessen an der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes abgelehnt werden.

Zwar ist die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu dieser Frage uneinheitlich. Verschiedene Senate lassen die Frage, ob sie der bisherigen Rechtsprechung folgen wollen, dahingestellt, sofern bei der gleichwohl vorgenommenen Abwägung das individuelle Aussetzungsinteresse überwiegt. Dabei wird – zutreffend – darauf hingewiesen, dass in der jüngeren Vergangenheit das öffentliche Haushaltsinteresse weniger stark als in der Vergangenheit gewichtet wurde und dass der schlichte Hinweis auf die finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte nicht ausreiche, um das Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen zu überwiegen. Nicht erhebliche, rein fiskalisch begründete Interessen, seien keine schwerwiegenden öffentlichen Interessen an einer Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts. Der VI. Senat sieht bereits in der bisherigen Spruchpraxis des BVerfG, nicht die Nichtigkeit steuerlicher Vorschriften festzustellen, sondern die Vorschriften lediglich als grundgesetzwidrig anzusehen und dem Gesetzgeber mit geräumiger Frist eine Änderung für die Zukunft aufzugeben, eine Verstärkung des individuellen Aussetzungsinteresses, die bei der Abwägung zum öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts zu berücksichtigen sei.

Allerdings ist nicht festzustellen, dass der Bundesfinanzhof insgesamt von dem Erfordernis einer Interessabwägung abgerückt wäre. Sowohl der II. Senat als auch der VII. Senat halten auch in ihrer aktuellen Rechtsprechung an dieser Abwägung fest und haben die Aussetzung der Vollziehung aus Gründen eines überwiegenden öffentlichen Interesses abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 24.10.2011 die Spruchpraxis des II. Senats des Bundesfinanzhofes nicht verworfen, sondern unter Bestätigung der Entscheidung lediglich im Ergebnis offen gelassen, ob diese Rechtsprechung in jeder Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist. Das Finanzgericht Köln schließt sich dieser Sichtweise an. Es ist nicht erkennbar, dass die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelte Begründung für das Erfordernis einer Interessenabwägung in Fallgestaltungen wie der vorliegenden, die ihren Kern im Grundsatz der Gewaltenteilung und der hieraus folgenden Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG hat, heute keine Geltung mehr beanspruchen könnte. Der Vorwurf, dies führte zu „rechtsstaatlich unerträglichen Ergebnissen“, ist nicht belegt.

Die Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuermessbescheids 2009 und dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung fällt nach Auffassung des Finanzgerichts Köln im Streitfall zu Lasten der Antragstellerin aus.

In der praktischen Auswirkung käme die Gewährung der beantragten Aussetzung der Vollziehung – mit Rücksicht auf die erforderliche Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen – einem einstweiligen Außerkraftsetzen eines wesentlichen Teils der Neufassung des Gewerbesteuergesetzes gleich. Aufgrund der damit verbundenen erheblichen Auswirkungen der Aussetzung der Vollziehung im Streitfall auf die öffentlichen, insbesondere kommunalen Haushalte, wäre es an der Antragstellerin gewesen, ihr demgegenüber besonderes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung darzulegen und glaubhaft zu machen.

Die von der Antragstellerin umfassend für verfassungswidrig gehaltene Neuregelung der Hinzurechnungsvorschriften in § 8 GewStG hat betragsmäßig eine erhebliche Bedeutung für die öffentlichen, insbesondere kommunalen Haushalte. Nach der Schätzung des Gesetzgebers hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen des Unternehmen-steuerreformgesetzes 2008 beträgt die volle Jahreswirkung des Wegfalls der hälftigen Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen einschließlich der hinzuzurechnenden Mieten und Pachten nach § 8 GewStG a.F. insgesamt 995 Mio. €, bei den Gemeinden 1.062 Mio. €. Für das Streitjahr 2009 prognostizierte der Gesetzgeber Mindereinnahmen von insgesamt 740 Mio. €, bei den Gemeinden von 794 Mio. €. Die Einnahmen aus der Neuregelung des § 8 GewStG haben unter Berücksichtigung eines Freibetrags von 100.000 € nach dieser Schätzung eine volle Jahreswirkung von insgesamt 965 Mio. €, bei den Gemeinden von 969 Mio. €. Für das Streitjahr 2009 sollten sich die Einnahmen aus der Neuregelung insgesamt auf 725 Mio. € belaufen, bei den Gemeinden auf 727 Mio. €. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass im Jahr 2009 das Gewerbesteueraufkommen der Gemeinden von 41,03 Mrd. € in 2008 auf 32,42 Mrd. € gesunken ist, kann die vom Gesetzgeber prognostizierte finanzielle Auswirkung der Neuregelung des § 8 GewStG nicht als unbedeutend angesehen werden. Die öffentliche Haushaltsführung ist durch die streitgegenständlichen Vorschriften danach nicht nur in untergeordnetem Umfang betroffen. Würden die Gewerbesteuermessbescheide 2009 gegenüber allen Steuerpflichtigen, die auch auf den streitgegenständlichen Neuregelungen durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 beruhen, von der Vollziehung ausgesetzt, so wäre nach Auffassung des beschließenden Senats die ordentliche Haushaltsführung der Kommunen zumindest ernsthaft gefährdet.

Unter diesen Umständen hätte die Antragstellerin darlegen und glaubhaft machen müssen, dass ihr aufgrund der Vollziehung des Gewerbesteuermessbescheids 2009 irreparable Nachteile drohen, was ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar machen würde. Derartige irreparable Nachteile lagen aus Sicht des Finanzgerichts Köln nicht vor.

Die Antragstellerin hat ihr besonderes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung ausschließlich damit begründet, dass sie in den Jahren 2008 und 2009 handelsrechtlich und körperschaftsteuerrechtlich Verluste erwirtschaftet hat, es aufgrund der streitgegenständlichen Hinzurechnungsvorschriften dennoch zu einer tatsächliche Gewerbesteuerbelastung kommt, die nur aus der Substanz aufzubringen sei und dass es sich um einen Dauersachverhalt handele, ihre Belastung daher jedes Jahr steige. Dies reicht nicht aus, um ein gegenüber dem öffentlichen Interesse gesteigertes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin anzunehmen.

Zwar stellt die Gewerbesteuer auch des Streitjahres 2009 eine erhebliche Belastung für die Antragstellerin dar. Aus den von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen lässt sich aber die Gefahr irreparabler Nachteile und einer Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz nicht hinreichend erkennen, so das Finanzgericht Köln weiter. Die Antragstellerin hat selbst dargelegt, dass sie die Gewerbesteuerbelastung des Jahres 2009 zumindest bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens wirtschaftlich verkraftet; schließlich hat sie trotz dieser Belastung einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Antragsgegner unter Hinweis auf die hohe Zinsgefahr (§ 238 Abs. 1 AO) erst am 19.03.2012, mithin mehr als ein Jahr nach Erlass des angefochtenen Gewerbesteuermessbescheids, gestellt. Zudem weisen die Jahresabschlüsse der Antragstellerin auf den 31.12.2008 und 2009 einen Kassenbestand bzw. Guthaben bei Kreditinstituten in Höhe von ca. 11,5 Mio. € (2008) bzw. in Höhe von 5,25 Mio. € (2009) aus. Die – durch den beschränkten Verlustvortrag gemilderte – Gewerbesteuerbelastung für das Jahr 2009 in Höhe von 274.000 € (so die Gewerbesteuerrückstellung) kann hiernach auch aus den liquiden Mitteln der Antragstellerin getragen werden.

Zudem hätte die Antragstellerin die Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz durch die Vorlage von aktuellen Geschäftszahlen darlegen und glaubhaft machen müssen. Dies hat sie unterlassen und lediglich auf die Gewerbesteuerbelastung des Jahres 2009 verwiesen. Aus dem veröffentlichen Jahresabschluss auf den 31.12.2010 ergibt sich aber, dass die Antragstellerin einen – geringen – handelsrechtlichen Gewinn erzielt hat, obwohl sie für dieses Jahr (mangels weiterer vortragsfähiger Gewerbeverluste) eine Gewerbesteuerrückstellung in Höhe von nunmehr 2,19 Mio. € gebildet hat und Forderungen gegenüber verbundenen Unternehmen in Höhe von insgesamt 4,24 Mio. € wertberichtigt hat. Hieran zeigt sich, dass die Antragstellerin in der Lage ist, auch unter der Neuregelung des § 8 GewStG Gewinne zu erwirtschaften.

Schließlich ist die Antragstellerin ausweislich des veröffentlichten Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2010 im Jahr 2011 in erheblichem Umfang mit neuem Eigenkapital ausgestattet worden. Im Dezember 2010 wurde eine Kapitalerhöhung bis zum 30.06.2012 in Höhe von zwischen 100.000 € und 4,9 Mio. € beschlossen; die Kapitalerhöhung wurde im Mai 2011 durch Bareinlage in Höhe von 3 Mio. € erbracht, die ausstehende Erhöhung um 1,9 Mio. € sollte im vierten Quartal 2011 realisiert werden.

Nach diesen zeitnahen Geschäftszahlen über die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung der Antragstellerin sieht das Finanzgericht Köln trotz der erheblichen Belastung keine drohenden irreparablen Nachteile für die Antragstellerin, die ein Abwarten über die Beendigung des Hauptsacheverfahrens gegen den Gewerbesteuermessbescheid 2009 als unzumutbar erscheinen ließe.

Im Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung der verschiedenen Senate des Bundesfinanzhofes zu der Frage, nach welchen Maßstäben die Entscheidung über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung zu treffen ist, wenn die Verfassungswidrigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegende Rechtsnormen gerügt wird, hat das Finanzgericht Köln die Beschwerde gegen seinen Beschluss zugelassen. Die vormals gefestigte und durch das Bundesverfassungsgericht gebilligte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu dieser Frage ist durch die Kritik in der steuerrechtlichen Literatur und unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe der verschiedenen Senate des Bundesfinanzhofes uneinheitlich geworden. Durch eine erneute Entscheidung des BFH könnten im Hinblick auf die Vielzahl der Aussetzungsverfahren mit verfassungsrechtlichem Hintergrund ggfs. einheitliche, praktisch verwertbare Abwägungskriterien entwickelt werden.

Die Zulassung der Beschwerde ist auch dadurch gerechtfertigt, dass das Finanzgericht Thüringen die Aussetzung der Vollziehung trotz ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 8c des Körperschaftsteuergesetzes mangels Aussetzungsinteresse der Antragstellerin abgelehnt und die Beschwerde zugelassen hat.

Finanzgericht Köln, Beschluss vom 04.07.2012 – 13 V 1292/12 und

Finanzgericht Köln, Beschluss vom 04.07.2012 – 13 V 1408/12

Beide Antragstellerinnen haben die vom Finanzgericht zugelassenen Beschwerden zum Bundesfinanzhof eingelegt.


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